„Vom Heiligen Nepomuk zum Birkenauer Galgen“ lautet die Veranstaltung zu der ich mich heute angemeldet habe. Ich treffe mich mit Georg Frohna, Geopark-vor-Ort-Begleiter des Teams Weschnitztal, und weiteren Teilnehmern am Haltepunkt Reisen. „Reisen, das ist ein Ort auf dem Weg nach Weinheim, ein typischer Durchfahrtsort, der oft übersehen wird“, so mein erster Gedanke. Dass es hier einiges zu entdecken gibt, werde ich in den nächsten zwei Stunden erfahren.

Vom Bahnhof zur Brücke

Es ist nur ein kurzes Wegstück bis zur Brücke. Dort steht er, am östlichen Ende, flussaufwärts blickend: die Statue des Heiligen Nepomuk, aus rotem Sandstein gehauen. Gerader Blick, ein großes Kreuz in den Händen. Komisch, der Kopf ist sehr viel sorgfältiger gearbeitet als der Rest der Skulptur.

Doch warum steht er hier? Wie kam es, dass ein katholischer Heiliger in einem vorwiegend evangelischen Gebiet Einzug fand? Und was hat Kurfürst Carl Theodor damit zu tun?

Verschmitzt stellt uns Georg einige Fragen und bezieht uns in seine Studien und Erkenntnisse ein. Was alles ist an der Statue nicht ganz richtig? Es sind drei Dinge! Wir rätseln, eine Frage, die uns dazu bringt, nochmal ganz genau hinzuschauen.

Schon vor 1732 befand sich in Reisen eine Brücke. Es war damals die einzige, auf der Kutschen die Weschnitz überqueren konnten. Ein Hochwasser am Michaelistag 1732 zerstörte diese und der Wiederaufbau war somit eine besonders dringende Angelegenheit. Aber dafür musste erstmal ein Investor gefunden werden. Die Sache ging bis nach Mannheim zu Kurfürst Carl Theodor, welcher seine Bedingungen stellte: fortan sollte die Brücke einen Schutzheiligen haben.

Wie war die Straßenführung von Weinheim bis nach Fürth? Welchen Verlauf hatten die alten Wege, wann wurde die Talstraße gebaut? Wie auch in Rimbach folgt die heutige Hauptdurchgangstraße den alten Wegen dabei nicht immer.

Warum der Kopf des Nepomuk neueren Datums ist, warum die Brücke unten aus rotem Stein und oben aus Beton aufgebaut ist oder wie die Weschnitz heute vor Überschwemmung geschützt wird. Dies und vieles mehr erfahren wir hier.

Statue des Heiligen Nepomuk auf der Karlsbrücke in Prag - mit goldenem Kranz, fünf Sternen und goldener Märtyrerpalme in der Hand.

Der Heilige Nepomuk (* um1350 †1393), Johannes von Pomuk, war böhmischer Priester und Märtyrer. Er wurde auf Veranlassung König Wenzels IV in der Moldau ertränkt.

Er gilt u.a. als Schutzpatron des Beichtgeheimnisses, gegen Wassergefahren und als Schutzpatron der Brücken.

Johannes Nepomuk bei Wikipedia

Das Foto zeigt die Nepomuk-Statue auf der Karlsbrücke in Prag, die auch als Urbild für viele Nepomuk-Statuen bezeichnet wird. Sie steht an der Stelle, an der Nepomuk in die Moldau gestürzt wurde. © Foto Kathrin Vollmöller

Für Freiheit und Recht – 1848

Gut hundert Jahre später gab es in Reisen ein weiteres einprägsames Ereignis. Auf der anderen Seite der Brücke erinnert ein mächtiger Stein an die große Volksversammlung mit 5000 – 7000 Personen, welche im April 1848 im kleinen Reisen stattfand (diese ist anders gelaufen als ich zunächst dachte und nachzulesen bei der Bürgerstiftung).

Wieder zurück auf der anderen Straßenseite, werfen wir noch einen Blick in die Alte Schmiede, bevor wir die Odenwaldstraße überqueren und die 192 Stufen des Treppenwegs bis zur Straße Am Hang nehmen.

Wie sich Dörfer verändern

Während der gesamten Tour führt uns Georg Frohna immer wieder vor Augen, wie deutlich der Einfluss der Zeit sichtbar wird. Mithilfe alter Fotos und Postkarten von Reisen und Birkenau werden die Unterschiede an den jeweiligen Orten erkennbar.

Höhen- und Fernwege

Oben angekommen und auf dem sich anschließenden Höhenweg hat man eine herrliche Aussicht: östlich in den Odenwald hinein und nach Westen auf die Hügelkuppen der Bergstraße.

Nach der Überführung der B38 stoßen wir auf den Europäischen Fernwanderweg E1. Dieser führt vom Nordkap bis nach Süditalien und unser Höhenweg ist ein Teil davon!

Herrschaftsgrenzen und Gerichtsbarkeit

Kurze Zeit später treffen wir auf ein weiteres Highlight. Eingeweihte erkennen den Baum mit zusammengewachsenen Stämmen sofort, er könnte ein Hinweis auf einen Grenzverlauf sein. Und tatsächlich: wenige Meter weiter entdecken wir einen alten Grenzstein.

Dieser zeigt aber nicht wie zunächst von mir vermutet die Wittelsbacher Rauten, sondern es handelt sich hier drei längliche Rauten in zwei Farben (schwarz und silber-weiß), die zu den Herren Wambolt von Umstadt gehören. Freiherren alten hessischen Adels mit Sitz (Schloss) unter anderem in Birkenau.


Wappen der Wambolt von Umstadt
Wappen der Herren Wambolt von Umstadt[2]

Die schöne Aussicht genießend laufen wir weiter bis zum Sportplatz Tannenbuckel, steigen hinab nach Birkenau und gelangen zur Gemeindeverwaltung in deren Vorgarten sich weitere steinerne Zeugen finden.

Der erste Birkenauer Galgen, der ursprünglich am Ortsausgang in Richtung Weinheim nahe der Weschnitz stand, wurde am 29. September 1732 vom sog. Michaelishochwasser zerstört. Es dauerte bis zum Juni 1741, um einen neuen Galgen als Zeichen der Gerichtsbarkeit der Ortsherrschaft von Wambolt zu errichten…

Ausschnitt aus der Beschreibung beim Stein

Wege und Pläne

Der Weg führt jetzt ein Stück an der Straße entlang, erst rechts von uns, später links, verläuft die Bahnlinie, es geht zurück nach Reisen. Wie sah das Gelände zur Zeit des Baus der Eisenbahnlinie aus? Ein Foto der Bauarbeiten gibt uns hier Aufschluss.

Eine weitere Besonderheit für alle, die sich für Landvermessung und alte Pläne interessieren: Der Geometer Johann Wilhelm Grimm hat 1744 zehn Zeichnungen (Tractus Primus – Tractus Decimus) von der Gemarkung Reisen und Schimbach angefertigt, welche erhalten und sogar online (HStAD Bestand P 1 Nr. 175) einsehbar sind.

Aus Geometrisches Rißbuch […] über Reußen von Johann Wilhelm Grimm, 1744[3]

Aus Geometrisches Rißbuch […] über Reußen von Johann Wilhelm Grimm, 1744 [3]

Von hier kommen wir auf geradem Wege wieder zum Ausgangspunkt der Tour. Georg Frohna gibt uns noch einen weiteren Tipp, die Ortsmitte betreffend: Dort findet man sowohl Häuser, ganz aus Stein, als auch Fachwerkhäuser, innerhalb einer Straße. Was es damit auf sich hat, ist eine andere Geschichte. Es gibt noch viel zu entdecken!

Georg Frohna kennt nicht nur Land und Leute, auch mit Grenzsteinen, Höhenwegen und Überflutungen kennt er sich sehr gut aus. Sein aktuelles Profil als Mitglied des Geopark-vor-Ort Teams Weschnitztal findet ihr hier. Weitere Termine und Veranstaltungen werden in den Tageszeitungen und im Weschnitzblitz veröffentlicht.

Fazit:
Beim Rundweg handelt es sich um einen leichten Spaziergang, mit jeweils einem kürzeren steileren An- bzw. Abstieg. Für die circa fünf Kilometer lange Strecke werden 1,5 bis 2,5 Stunden benötigt, je nachdem wie lange man an den einzelnen Stationen verweilt.

Die von mir vorgestellten Eindrücke sind nur ein kleiner Ausschnitt dessen, was Georg Frohna an den verschiedenen Stationen vorstellt. Wieder wird mir klar, dass es so viele interessante Themen in unserer nächsten Umgebung gibt: Vormärz und Revolution 1848/49; Wittelsbacher, die Kurmainz, die Wambolts und ihr Einfluss; Fachwerkbauten; Galgen; Geschichte der Weschnitztalbahn, Landvermessung im 18. Jahrhundert und noch viel mehr. Wirklich spannend was es hier alles zu entdecken gibt!


[1] Postkarte aus Reisen, Aufnahme von Michael Geiss, Birkenau um 1898

[2] Wappen der Wambolt von Umstadt | Quelle=GHdA Band 134, 2004, Adelslexikon | nach Vorlage und Blasonierung neu erstellt | wikipedia

[3] Mit freundlicher Unterstützung durch das Hessische Landesarchiv | Hessisches Staatsarchiv Darmstadt | HStAD, P 1, Nr. 175

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